Die Digitalisierung der Fotografie und das Aufkommen
des "Citizen Photographer" auf der einen Seite und die Erosion
traditioneller Medien auf der anderen Seite haben zu einem tiefgreifenden
Wandel im Fotojournalismus geführt. Wie dies gleichzeitig das Aufkommen neuer
Akteure ermöglicht, zeigt das Beispiel des Fotograf_innenkollektivs
Activestills. Deren Geschichte erzählt das Buch "Activestills -
Photography as Protest in Palestine/Israel".
Kritische fotografische Praxis
Ziel des mit 320 Seiten
recht umfangreichen und sehr bilderreichen Buches ist es, die Möglichkeiten und
Herausforderungen einer kritischen Praxis und Theorie der Fotografie
herauszuarbeiten, so die Herausgeberinnen des Buches Vered Maimon und Shiraz
Grinbaum. Dies geschieht über eine Kombination akademischer Texte, in denen die
Arbeit des Kollektivs reflektiert wird, über Statements von israelischen und
palästinensischen Aktivist_innen sozialer Kämpfe und Selbstaussagen der
Fotograf_innen des Kollektivs. Auf bildnerischer Ebene bekommen die Leser_innen
ein einzigartiges politisch-visuelles Potpourri aus Themen und Ereignissen zu
sehen, die aus dem über 30.000 Bilder umfassenden Archiv des Kollektivs
stammen.
Eine immer wiederkehrende
Kritik an der dokumentarischen Fotografie ist, dass diese die Dargestellten zu
passiven Subjekten der Betrachtung degradiere, insbesondere dann, wenn es um
die Darstellung von Leid geht. Dadurch, dass Activestills sich sowohl als
Aktivist_innen wie auch Fotograf_innen verstehen und meist auch vor und nach den
eigentlichen Ereignissen anwesend sind, schaffen sie es, so Maimon und
Grinbaum, die Akteur_innen nicht als Opfer sondern als handelnde politische
Akteure zu zeigen. Die langjährige Beziehung die dabei zu den dokumentierten
Gruppen und Akteuren entstanden ist hat laut Kratsman eine partnerschaftliche
Intimität zur Folge, die weit über klassische journalistische
Darstellungsmuster hinausgehe.
Die Linke und alternative Medienöffentlichkeiten in
Israel
Die Kunsthistorikerin Vered
Maimon arbeitet in ihrem Beitrag heraus, wie Activestills Teil der alternativen
Medienöffentlichkeit in Israel ist, für deren Formierung unter anderem das
Experiment der linken Tageszeitung Hadashot (1984 – 1993) entscheidend war. Der
Journalist Haggai Matar, Redakteur des alternativen Onlinemagazins Open Call,
stellt in einer Einordnung der Arbeit des Kollektivs innerhalb der israelischen
Linken heraus, wie es Activestills gelungen ist, die konzeptuellen Grenzen
zwischen verschiedenen politischen Kämpfen einzureißen. Exemplarisch zeigt sich
dies an den Stimmen der Aktivist_innen im Buch, die vom zivilen
palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung über die israelische LGBT- und
Tierrechts-Szene und den Flüchtlingsprotest bis hin zum Mizrahi-Widerstand und
dem Tent-Mouvement reichen.
Von der Gründung des
Kollektivs an, war ein wichtiger Aspekt die Fotografien den politischen
Akteuren und Gruppen zurückzugeben, was dazu führt, dass die Bilder auch bei Demonstrationen
auftauchen und zu Bildern in Bildern werden. Der israelische Fototheoretiker
Meir Wigoder arbeitet in seinem Essay heraus, wie dies den Beweischarakter der
Bilder stärkt, da dies zeigt, dass sie keine passiven Objekte darstellen. Mit
den Ausstellungen im öffentlichen Raum beschäftigt sich der Text des britischen
Kunsthistorikers Simon Faulkner. Er weist auf die Bedeutung des Kontextes hin,
in denen sie zu sehen sind und zeigt auf, wie der Wunsch des Kollektivs die
Unsichtbarkeit der Besatzung in Israel über die Ausstellungen zu thematisieren zu
starken Abwehrreaktionen bis hin zu deren Zerstörung führt.
Zwischen Aktivismus und Fotojournalismus
Der Journalismus
europäisch-amerikanischer Prägung lebt bis heute vom Mantra der Objektivität.
Angesichts existentieller politisch-sozialer Konflikte sowie einer hegemonialen
Medienlandschaft in Israel/Palästina sahen sich die Mitglieder von Activestills
jedoch herausgefordert, die klassische Dichotomie zwischen Aktivismus und (Foto-)Journalismus
herauszufordern und eine eigene Antwort zu finden. Dem Buch ist es hervorragend
gelungen, die Motivationen dahinter sowie die fundamentale Bedeutung dieser
Entscheidung für soziale und politische Kämpfe in der Region herauszuarbeiten,
um dies dann innerhalb der akademischen Kritik an der Praxis der dokumentarischen
Fotografie zu verorten.
Vered Maimon/Shiraz Greenbaum (Hrsg.): Activestills – Photography as
Protest, London: Pluto Press, 320 Seiten, ISBN: 978-0745336695,
24 Euro.