Das Buch kommt in einem
schweren, rotbraun getönten Schuber daher. „Erasure“ ist eine Trilogie
bestehend aus den drei Bänden „Memory Trace“, „Independence/ Nakba“ und „Desert Bloom“ sowie dem Heft „Notes“ mit
detaillierten Bildunterschriften und Kontextualisierungen zum Band „Desert
Bloom“. „Independence / Nakba“ besteht aus 65 Dyptichen. Für die 65 Jahre, die
zwischen dem ersten arabisch-israelischen Krieg und Sheiks Aufenthalt in der
Region liegen, wird je eine/n Palästinenser/in und eine/n Israeli porträtiert.
Fotografisch greift Sheikh dabei auf schlichte schwarz-weiße Porträts in Form
von Kopfbildern in Frontalansicht zurück. Der Band „Memory Trace“ dagegen widmet
sich den im ersten arabisch-israelischen Krieg zerstörten palästinensischen
Dörfern. Über Fotos von Ruinen, verlassenen Gärten, einzelnen Porträts von
Vertriebenen und kurzen Texten zum Schicksal der Dörfer wird diese vergessene
Geschichte lebendig.
Der umfangreichste und
visuell spannendste Teil des Projekts ist die Serie „Desert Bloom“. Sie besteht
aus Dutzenden von Luftaufnahmen der Negevwüste im Süden Israel, einst Heimat
arabischer Beduinen und heute eine wichtige Landressource Israels. Auf den
Bildern wechseln sich akkurat gezogene Ackerfurchen mit Gesteinsformationen und
Wegen ab. Hier wird deutlich, wie militärische und planerische Eingriffe die
einstige Naturlandschaft einer extremen Transformation zugeführt haben. Den
Preis dafür zahlt vor allem die Beduinenbevölkerung, die seit Jahrhunderten in
der Negev gesiedelt hat. Ihres Nomadenlebens weitestgehend beraubt, leben sie
heute vor allem in sogenannten „Unrecognized Villages“.
Besonders deutlich wird der
politische Konflikt in der Negevwüste am Fall des Beduinen Dorfes Al-Araqib.
Unzählige Male wurde es vom israelischen Staat zerstört und von den Bewohnern
wieder aufgebaut. Das Dorf steht dem Ambassador Forest im Weg, der dort vom
Jewish National Fund geplant und umgesetzt wird. Auch deutsche Gelder sind
daran beteiligt. Die politische Sprengkraft und die Kosten der Vision des
ersten israelischen Staatspräsidenten, David Ben Gurion, die Wüste zum Blühen
zu bringen, wird hier besonders stark deutlich. Sheikh zeigt in einer Vielzahl
von Bildern die Veränderung der Landschaft an diesem Ort auf. Zusammen mit dem
israelischen Wissenschaftler Eyal Weizman hat Sheikh die Geschichte von Al-Araqib
auch in einem eigenen Band unter dem Titel „The Conflict Shoreline:
Colonizations as Climate Change in the Negev Desert“ verarbeitet, der ebenfalls
im Steidl Verlag erschienen ist.
Nach Israel kam Fazal
Sheikh, der sich bis dato vor allem über Porträtarbeiten von Flüchtlingen einen
Namen gemacht hatte, auf Einladung des französischen Fotografen Frédéric
Brenner. Dieser hatte für sein Projekt „This Place“ 11 internationale
Fotografen eingeladen, in Israel und der Westbank zu arbeiten. Darunter waren so
bekannte Namen wie Joseph Koudelka, Stephen Shore oder Thomas Struth. Zwischen
2009 und 2012 arbeiteten Sheikh und seine Kollegen in zum Teil mehrmonatigen
Residenzen an ihren Projekten. Für Brenner bestand das Ziel des Projekts darin,
„eine nicht dual konnotierte Perspektive zu entwickeln, die über das Dafür und
Dagegen, über Opfer- und Täter-
Blickwinkel und über die
politischen Narrative hinausgeht“, wie er es im Interview mit dem ND
schilderte. Die begleitende Ausstellung hatte im vergangenen Jahr in Prag Welt-
und Europapremiere und tourt seitdem um die Welt. Ab dem Herbst ist sie in den
USA zu sehen.
Fazahl Sheikhs Projekt ist
eine der politischsten Arbeiten von „This Place“ und setzt exemplarisch
Brenners Vision um. Ohne Scheu greift er mit der Naqba eines der Tabuthemen des
Konflikts auf und entwickelt dafür eine überzeugende Form der visuellen
Umsetzung. Damit setzt er sich von anderen Arbeiten wie denen von Thomas Struth
und Jeff Wall ab, die eher an der Oberfläche kratzen. Schade ist nur, dass die
vom Steidl Verlag verantwortete Buchgestaltung etwas altbacken daher kommt.
Aber es ist trotz allem ein überzeugendes Fotobuch, das einen nicht nur mit
seinen hervorragenden Fotografien in den Bann zieht und sondern dem Leser auch
ein unterbelichtetes hochbrisantes politisches Thema näher bringt.
Fazal Sheikh: Erasure,
Steidl Verlag, 438 Seiten, gebunden im Schuber, ISBN 978-3-86930-805-0, 98 Euro
Eyal Weizman / Fazal Sheikh:
The Conflict Shoreline: Colonization as Climate Change in the Negev Desert,
Steidl Verlag, 96 Seiten, Fester Einband, ISBN 978-3-95829-035-8, 30,00 Euro