James Morris - Times & Remains of Palestine (Review in German)

Wenn es der israelisch-palästinensische Konflikt in die deutschen Medien schafft, dann meist in Bezug auf militärische Eskalationen, Terroranschläge in Israel oder humanitäre Krisen im Gazastreifen. Nur selten stehen die Auswirkungen des Konflikts auf die geographischen Gegebenheiten und den urbanen Raum im Fokus. Wenn dieser Aspekt thematisiert wird, dann meist in reduzierter Form in Bezug auf die illegalen israelischen Siedlungen in der Westbank. Wie komplex das Thema Land in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt tatsächlich ist, macht ein neuer Bildband des walisischen Fotografen James Morris deutlich.



Mit dem im Kehrer Verlag erschienen Band "Time and Remains of Palestine" hat Morris seine über mehrere Jahre geführten fotografischen Recherchen in Buchform gegossen. Ausgangspunkt für seine Beschäftigung mit dem Thema, so schreibt er in der Einleitung, war der Besuch des vom Jewish National Fund errichteten Canada Park, auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem am Rande der Hügel der Westbank gelegen. Der Canada Park ist einer von vielen Naherholungsparks mit weitläufigen Pinienwäldern, die auf den Resten im ersten-israelisch arabischen Krieg zerstörter palästinensischer Dörfer errichtet wurden.

James Morris machte es sich zur Aufgabe, den verschwundenen Dörfern nachzuspüren und dem palästinensischen Narrativ der Naqba eine visuelle Komponente hinzuzufügen. Im Buch ist dies der erste Teil unter dem Titel "That still remains". Ein zweiter Teil unter dem Titel "When the time comes" ist der Gegenwart des Konflikts gewidmet und spürt vor allem der Infrastruktur der Besatzung nach. Morris lässt die Menschen der Region außen vor um die fotografierten Orte für sich sprechen zu lassen, denen er in sachlichen, zum Teil sehr ausführlichen Bildunterschriften einen inhaltlichen Kontext gibt. Die Bilder leben von einer großen Ruhe und fotografischen Präzision und sind aufgrund des Arbeitens mit Stativ und Großformatkamera von einer klaren Schärfe gekennzeichnet.

Im ersten Teil des Buches ist Morris vor allem dem Unsichtbaren auf der Spur. Er sucht nach Symbolen des Vergangenen, zeigt muslimische Schreine vor dem Verfall, aufgegebene Gräberfelder, einzelne verlassene Häuser oder einsame Minarette. Aber es sind vor allem die Steine und die Natur, die mit Hilfe von Morris Bildern Bedeutung bekommen. So auch im Bild eines Steinhügels in einem Kiefernwald an einem grauen Wintertag. Was der Betrachter hier sieht, sind die Reste des palästinensischen Dorfes Abu Zarayq, einst in der Nähe von Haifa gelegen. Am 11. April 1948 wurde das Dorf von der jüdischen Haganah angegriffen und die Bewohner vertrieben. Später wurde es dem Erdboden gleichgemacht. Heute zeugen nur noch namenloses Steinhaufen von seiner Existenz.

Im zweiten Teil ist das Ganze dann wesentlich expliziter. Er stellt hier die gedrängte Architektur palästinensischer Flüchtlingslager der Architektur der Besatzung gegenüber. Ist das Vergangene des Konflikts zum Teil unsichtbar, ist das Zeitgenössische so präsent, dass es nicht zu übersehen ist, vor allem wenn es um militärische Bauten wie Checkpoints oder die Mauer geht. Aber auch zivile Bauten haben politische und militärische Bedeutung, wie es ein Bild aus der palästinensischen Westbank zeigt. Im Vordergrund ist darauf ein Haus des palästinensischen Dorfes Wadi Fukin zu sehen während sich im Hintergrund auf der anderen Talseite neue Appartementkomplexe der Siedlung Beitar Illit an den Hügel schmiegen. Hier wird das Militärische der Siedlungsarchitektur deutlich, deren Hauptprinzip das Bebauen eines Hügels in konzentrischen Kreisen darstellt.

Beeindruckend ist das Cover des Buches, ein Reprint einer Karte des historischen Palästina aus dem Jahr 1880. Es ist eine sehr detailliert gezeichnete Karte, deren abgebildeter Ausschnitt von Jerusalem im Osten bis zur Mittelmeerküste im Westen reicht. Mit dieser Karte setzt Morris auf der einen Seite einen geographischen Referenzpunkt in einer Zeit, als die zionistische Besiedelung und damit der Konflikt um Land gerade seinen Anfang nahm und legt zum anderen die Interessen der Kolonialmächte der Zeit an der Region offen. Das Buch an sich folgt einem gestalterisch simplen Prinzip und zeigt die querformatigen Bilder entweder als Einzel- oder Doppelseiten, unterbrochen nur von Einzelseiten mit Bildunterschriften.

Morris Buch endet mit einem Gedicht des 2011 verstorbenen palästinensischen Dichters Taha Muhammad Ali mit dem bezeichnenden Titel "Exodus". Muhammad Ali verarbeitet darin die Fluchtgeschichte des palästinensischen Volkes und wiederholt am Ende jedes Absatzes die Worte "We will not leave". Morris Bilder sind die passenden Dokumente zu dieser Aussage die zeigen, wie der Versuch der Unsichtbarmachung durch die Zerstörung von mehr als 400 Dörfern in Bildern erzählt und erinnert werden kann. Beeindruckend sind dabei vor allem die Masse der zusammengetragenen Bilder und die damit verbundene Rechercheleistung Morris.