Mit dem im Kehrer Verlag
erschienen Band "Time and Remains of Palestine" hat Morris seine über
mehrere Jahre geführten fotografischen Recherchen in Buchform gegossen.
Ausgangspunkt für seine Beschäftigung mit dem Thema, so schreibt er in der
Einleitung, war der Besuch des vom Jewish National Fund errichteten Canada Park,
auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Jerusalem am Rande der Hügel der Westbank
gelegen. Der Canada Park ist einer von vielen Naherholungsparks mit
weitläufigen Pinienwäldern, die auf den Resten im ersten-israelisch arabischen
Krieg zerstörter palästinensischer Dörfer errichtet wurden.
James Morris machte es sich
zur Aufgabe, den verschwundenen Dörfern nachzuspüren und dem palästinensischen
Narrativ der Naqba eine visuelle Komponente hinzuzufügen. Im Buch ist dies der
erste Teil unter dem Titel "That still remains". Ein zweiter Teil
unter dem Titel "When the time comes" ist der Gegenwart des Konflikts
gewidmet und spürt vor allem der Infrastruktur der Besatzung nach. Morris lässt
die Menschen der Region außen vor um die fotografierten Orte für sich sprechen
zu lassen, denen er in sachlichen, zum Teil sehr ausführlichen
Bildunterschriften einen inhaltlichen Kontext gibt. Die Bilder leben von einer
großen Ruhe und fotografischen Präzision und sind aufgrund des Arbeitens mit
Stativ und Großformatkamera von einer klaren Schärfe gekennzeichnet.
Im ersten Teil des Buches
ist Morris vor allem dem Unsichtbaren auf der Spur. Er sucht nach Symbolen des
Vergangenen, zeigt muslimische Schreine vor dem Verfall, aufgegebene
Gräberfelder, einzelne verlassene Häuser oder einsame Minarette. Aber es sind vor
allem die Steine und die Natur, die mit Hilfe von Morris Bildern Bedeutung
bekommen. So auch im Bild eines Steinhügels in einem Kiefernwald an einem
grauen Wintertag. Was der Betrachter hier sieht, sind die Reste des
palästinensischen Dorfes Abu Zarayq, einst in der Nähe von Haifa gelegen. Am
11. April 1948 wurde das Dorf von der jüdischen Haganah angegriffen und die
Bewohner vertrieben. Später wurde es dem Erdboden gleichgemacht. Heute zeugen
nur noch namenloses Steinhaufen von seiner Existenz.
Im zweiten Teil ist das
Ganze dann wesentlich expliziter. Er stellt hier die gedrängte Architektur
palästinensischer Flüchtlingslager der Architektur der Besatzung gegenüber. Ist
das Vergangene des Konflikts zum Teil unsichtbar, ist das Zeitgenössische so
präsent, dass es nicht zu übersehen ist, vor allem wenn es um militärische
Bauten wie Checkpoints oder die Mauer geht. Aber auch zivile Bauten haben
politische und militärische Bedeutung, wie es ein Bild aus der
palästinensischen Westbank zeigt. Im Vordergrund ist darauf ein Haus des
palästinensischen Dorfes Wadi Fukin zu sehen während sich im Hintergrund auf
der anderen Talseite neue Appartementkomplexe der Siedlung Beitar Illit an den
Hügel schmiegen. Hier wird das Militärische der Siedlungsarchitektur deutlich,
deren Hauptprinzip das Bebauen eines Hügels in konzentrischen Kreisen
darstellt.
Beeindruckend ist das Cover
des Buches, ein Reprint einer Karte des historischen Palästina aus dem Jahr
1880. Es ist eine sehr detailliert gezeichnete Karte, deren abgebildeter
Ausschnitt von Jerusalem im Osten bis zur Mittelmeerküste im Westen reicht. Mit
dieser Karte setzt Morris auf der einen Seite einen geographischen
Referenzpunkt in einer Zeit, als die zionistische Besiedelung und damit der
Konflikt um Land gerade seinen Anfang nahm und legt zum anderen die Interessen
der Kolonialmächte der Zeit an der Region offen. Das Buch an sich folgt einem
gestalterisch simplen Prinzip und zeigt die querformatigen Bilder entweder als
Einzel- oder Doppelseiten, unterbrochen nur von Einzelseiten mit
Bildunterschriften.
Morris Buch endet mit einem
Gedicht des 2011 verstorbenen palästinensischen Dichters Taha Muhammad Ali mit
dem bezeichnenden Titel "Exodus". Muhammad Ali verarbeitet darin die
Fluchtgeschichte des palästinensischen Volkes und wiederholt am Ende jedes
Absatzes die Worte "We will not leave". Morris Bilder sind die
passenden Dokumente zu dieser Aussage die zeigen, wie der Versuch der
Unsichtbarmachung durch die Zerstörung von mehr als 400 Dörfern in Bildern
erzählt und erinnert werden kann. Beeindruckend sind dabei vor allem die Masse
der zusammengetragenen Bilder und die damit verbundene Rechercheleistung
Morris.